Kapitel 4. Missverständnisse und Klarstellungen

Nach diesem Verständnis von Eigentum, bedeutet Eigentum die exklusive Kontrolle über bestimmte physische Objekte und Gebiete durch bestimmte Personen. Umgekehrt, bedeutet Verletzung des Eigentumsrechts, die unaufgeforderte physische Beschädigung oder Beeinträchtigung von Objekten oder Gebiete die das Eigentum anderer Personen sind. Im Gegensatz dazu steht die weit verbreitete Meinung, dass eine Beschädigung oder Beeinträchtigung vom Wert (oder Preis) des Eigentums einer anderer Person, ebenfalls eine Strafbare Handlung darstellt.

Im Bezug auf die (Un-)Vereinbarkeit beider Positionen ist es leicht einzusehen, dass praktisch jede Handlung einer Person den Wert (Preis) des Eigentums einer anderen Person beeinflussen kann. Wenn beispielsweise Person A in den Arbeitsmarkt oder Heiratsmarkt Eintritt, kann das den Wert von B in diesen Märkten beeinflussen. Wenn A seine Wertschätzung von Bier relativ zu Brot ändert, oder wenn A sich entschließt selbst Brauer oder Bäcker zu werden, verändert sich der Wert des Eigentums anderer Brauer und Bäcker. Nach der Ansicht, dass die Minderung eines Wertes eine Rechtsverletzung darstellt, hätte A eine strafbare Handlung gegenüber den Brauer und Bäckern begangen. Wenn A sich schuldig gemacht hat, dann haben B sowie die Brauer und Bäcker das Recht sich gegen die Handlungen von A zu verteidigen, also physisch in das Eigentum von A einzugreifen. Es muss B erlaubt sein A physisch daran zu hindern in den Arbeits- oder Heiratsmarkt einzutreten; den Brauern und Bäcker muss erlaubt sein A physisch daran zu hindern sein Geld nach seiner eigenen Einschätzung auszugeben. In diesem Fall dürfen wir die physischen Schäden oder Verletzungen des Eigentums von A durch B nicht als Straftat ansehen. Da die physischen Schäden und Verletzungen aus Verteidigung geschehen, sind sie legitim. Da umgekehrt der physische Schaden eine Verletzung von Rechten darstellt, haben B oder die Brauer und Bäcker nicht das Recht sich gegen die Handlungen von A zu verteidigen, denn seine Handlungen - der Eintritt in den Arbeitsmarkt und Heiratsmarkt, seine geänderte Wertschätzung von Bier und Brot, oder seine Eröffnung einer Brauerei oder Bäckerei - haben keinen Einfluss auf die körperliche Unversehrtheit von B oder die physische Integrität des Eigentums der Brauer und Bäcker. Wenn sie sich trotzdem physisch verteidigen, hätte A das Recht sich zu verteidigen. Demnach können wir es jedoch nicht als Straftat erachten wenn jemand den Wert des Eigentums einer anderen Person verändert. Eine dritte Möglichkeit existiert nicht.

Beide Ideen des Eigentums sind jedoch nicht nur unvereinbar. Die Alternative - dass man Eigentum am Wert oder Preis eines Gutes hat - ist nicht haltbar. Eine Person hat zwar Kontrolle darüber ob seine Handlungen die physischen Eigenschaften des Eigentums einer anderen Person verändert, er hat jedoch keine Kontrolle darüber ob seine Handlungen den Wert (oder Preis) des Eigentums einer anderen Person beeinflusst. Dieser Wert wird nämlich durch Wertschätzung und Einschätzung anderer Personen bestimmt. Demzufolge wäre es unmöglich vorauszusagen, ob die eigenen geplanten Handlungen legitim wären oder nicht. Man müsste die gesamte Bevölkerung befragen, um sicherzustellen dass die eigenen Handlungen nicht den Wert des Eigentums einer anderen Person beeinträchtigt und man könnte damit nicht anfangen, bevor man einen universellen Konsens erreicht. Die Menschheit müsste aussterben, lange bevor man solch eine Annahme jemals erfüllen könnte.

Desweiteren beinhaltet die Aussage, dass Eigentum ein Recht am Wert bedeutet einen Widerspruch. Denn sollte diese Aussage gültig sein - allgemein Zustimmungsfähig - müsste man annehmen es wäre legitim schon vor einer Übereinstimmung zu handeln. Sonst wäre es unmöglich jemals eine Behauptung aufzustellen. Wenn es jedoch erlaubt ist eine Behauptung aufzustellen - was keiner verneinen kann ohne sich in ein Widerspruch zu begeben - dann liegt das nur daran, dass es objektive physische Grenzen des Eigentums gibt, also Grenzen die jeder selbstständig und unabhängig erkennen kann, ohne irgendetwas von den subjektiven Wertschätzungen anderer zu wissen.[18]

Ein weiteres ebenso verbreitetes Missverständnis ist, dass Eigentumsrechte bestimmen welche Handlungen erlaubt sind oder nicht, alleine auf Grund ihrer physischen Auswirkungen. Dabei wird übersehen, dass jedes Eigentumsrecht eine Geschichte (zeitliche Genese) hat.

Wenn A derzeit physischen Schaden am Eigentum von B ausübt (beispielsweise durch Luftverschmutzung oder Lärm), muss die Situation unterschiedlich bewertet werden, abhängig davon wessen Eigentumsrecht früher zustandekam. Wenn das Eigentum von A zuerst etabliert wurde und seine fragwürdigen Aktivitäten vor der Etablierung des Eigentums vom Nachbar B durchgeführt wurden, kann er damit fortfahren. A hat eine Dienstbarkeit etabliert. B hat verschmutztes und lautes Eigentum erworben, und sollte sich B ein sauberes und stilles Grundstück wünschen, muss er das mit A aushandeln. Wurde umgekehrt, das Eigentum von B als erstes begründet, muss A mit seinen Aktivitäten aufhören; und wenn er das nicht möchte, muss er B für dieses Privileg bezahlen. Jede andere Regelung ist unmöglich und nicht zu verteidigen, da ein Mensch so lange er lebt, nicht in der Lage ist nicht zu handeln. Jemand der mit einer Aktivität beginnt, kann selbst wenn er es wollte, nicht auf das Einverständnis von allen Nachzüglern warten. Es muss ihm erlaubt sein sofort zu handeln. Sofern kein anderes Eigentum neben sein eigenes existiert (da die Nachzügler noch nicht angekommen sind), sind die eigenen Aktivitäten alleine durch die Naturgesetze beschränkt. Ein Nachzügler könnte die Berechtigung eines Vorgängers nur anzweifeln wenn er Eigentümer der Güter wäre, die durch die Handlungen des Vorgängers beeinflusst werden. Das würde allerdings implizieren, dass man Eigentum an nicht angeeignete Sachen haben kann, also Eigentum an Sachen die man noch nicht entdeckt oder durch eigene Handlungen originär angeeignet hat. Demzufolge dürfte niemand eine vorher unentdeckte und nicht angeeignete Sache erstmalig benutzen.



[18] Es stimmt zwar, dass niemand handeln könnte, wenn jeder den Wert seines Eigentums besäße, praktisch ist es aber schon möglich, dass eine Person oder Gruppe A, den Wert seines Eigentums besitzt und bestimmen darf was eine andere Person oder Gruppe, B, mit ihrem Eigentum tun oder lassen darf. Das bedeutet jedoch, dass B weder Eigentum am Wert noch an der physischen Integrität „seines“ Eigentums hat. B und sein Eigentum sind also in Wirklichkeit das Eigentum von A. Diese Reglung kann man durchaus implementieren aber es kann nicht als menschliche Ethik bezeichnet werden. In Wirklichkeit handelt es sich dabei um ein Klassensystem mit ausbeutenden Übermenschen und ausgebeuteten Untermenschen.