Die Geschichte des gesellschaftlichen und politischen Diskurses, hat diverse Vorschläge produziert um das Problem der gesellschaftlichen Ordnung zu lösen. Diese Vielzahl widersprüchlicher Vorschläge trägt dazu bei, dass die Suche nach einer einzigen „korrekten“ Lösung, heute von vielen als illusorisch erachtet wird. Dennoch will ich versuchen zu zeigen, dass es eine korrekte Lösung gibt; sodass es keinen Grund gibt einem moralischen Relativismus zu unterliegen. Die Lösung ist seit hunderten von Jahren bekannt, wenn nicht sogar länger.[13] In unserer heutigen Zeit wurde diese alte und einfache Lösung am klarsten und überzeugendsten von Murray N. Rothbard formuliert.[14]
Zunächst werde ich die Lösung formulieren - erst für den Spezialfall im Garten Eden und danach für den allgemeinen Fall der „echten“ Welt, indem allgemeine Knappheit herrscht - und gehe im weiteren darauf ein, warum diese, und keine andere, die korrekte Lösung ist. Im Garten Eden besteht die Lösung aus der einfachen Regel, dass jeder seinen Körper bewegen und hinstellen darf wo er mag, vorausgesetzt es steht kein anderer an dieser Stelle, der sie vorher besetzt hat. Außerhalb vom Garten Eden, im Reich der Knappheit, ist die Lösung folgende Regel: Jeder ist Eigentümer seines eigenen Körpers, aller Gebiete die er besetzt hat sowie von naturgegebene Güter von denen er durch Einsatz seines Körpers Gebrauch macht, vorausgesetzt kein anderer hat diese Gebiete oder Güter vorher schon besetzt oder benutzt. Eigentum an „originär Angeeignete“ Gebiete und Güter durch eine Person, impliziert das Recht diese nach eigenem ermessen zu verändern und einzusetzen, vorausgesetzt, die physikalische Unversehrtheit originär angeeigneter Gebiete und Güter einer anderen Person, werden dabei nicht verletzt. Nachdem eine Stelle oder ein Gut erstmals angeeignet wurde, in den Worten von John Locke, durch „Vermischung mit der eigenen Arbeit“, kann man Eigentum nur erwerben, indem der Titel am Eigentum freiwillig - vertraglich - von dem vorherigen zu einem späteren Eigentümer übertragen wird.
Angesichts eines weit verbreiteten moralischen Relativismus sollte ich darauf hinweisen, dass die Idee der originären Aneignung und Privateigentum als Lösung für das Problem der gesellschaftlichen Ordnung, ganz und gar mit unserer moralischen „Intuition“ übereinstimmt. Wäre es nicht absurd zu behaupten, dass eine Person nicht der rechtmäßige Eigentümer seines eigenen Körpers ist? Oder, dass die Gebiete und Güter die jemand originär, also vor allen anderen aneignet, nutzt und/oder durch Einsatz seines Körpers produziert, einem anderen Gehören? Wer sonst, wenn nicht er, sollte der Eigentümer sein? Ist es nicht auch offensichtlich, dass die überwältigende Mehrheit – sogar Kinder und Naturvölker – sich in ihrem Alltag nach diesen Regeln richten und sie als selbstverständlich erachten?
Die moralische Intuition ist zwar wichtig, stellt aber kein Beweis dar. Doch solch ein Beweis für die Gültigkeit unserer moralischen Intuition existiert tatsächlich.
Der Beweis kann auf verschiedene Weise erbracht werden. Zunächst können wir die Folgen untersuchen, würde man die Gültigkeit der originären Aneignung und dem Privateigentum verneinen: Betrachten wir von Person A, den Körper sowie alle Gebiete und Güter die er originär angeeignet hat. Weiterhin kann A Güter produzieren, durch den Einsatz seines Körpers, zusammen mit Gütern die von ihrem vorherigen Eigentümer freiwillig (vertraglich) erworben wurden. Wäre A bei all dem Genannten nicht der Eigentümer, gibt es nur zwei Alternativen. Wir müssen entweder eine andere Person B, als Eigentümer betrachten, oder es sind A und B gleichberechtigte Miteigentümer an alle Körper, Gebiete und Güter.
Im ersten Fall, wäre A zum Sklaven von B degradiert bzw. würde von B ausgebeutet. B wäre der Eigentümer des Körpers von A sowie aller Gebiete und Güter die von ihm angeeignet, produziert oder erworben wurden, umgekehrt wäre A aber nicht der Eigentümer des Körpers von B oder der Gebiete und Güter die von ihm angeeignet, produziert oder erworben wurden. Unter solcher Reglung gäbe es demzufolge zwei Klassen von Personen - Untermenschen wie A und Übermenschen wie B - für die ein jeweils verschiedenes „Recht“ gilt. Dementsprechend ist eine solch Regelung keine Ethik die auf jedes menschliche (rationale) Wesen angewandt werden kann. Sie gilt per Definition nicht für alle gleich und kann deshalb nicht für sich beanspruchen Recht zu sein. Eine Regel die den Anspruch hat ein Recht - eine gerechte Regel - zu sein, muss universell für alle gleich gelten.
Im Zweiten Fall, in dem alle an allem gleichberechtigte Miteigentümer sind, ist die Bedingung nach gleichem Recht für alle erfüllt. Diese Alternative leidet allerdings an einem viel schwerwiegenderen Fehler. Würde sie angewendet, müsste die gesamte Menschheit sofort zugrundegehen. Jede Aktivität einer Person verlangt den Einsatz bestimmter knapper Mittel (zumindest des Körpers der Person und der Fläche auf dem er steht). Wenn aber jeder an allen Gütern ein Miteigentümer ist, wäre es niemandem jemals erlaubt irgendetwas zu tun, ohne vorher das Einverständnis aller Miteigentümer zu bekommen. Wie soll jemand dieses Einverständnis aber jemals gewähren, wenn er nicht der exclusive Eigentümer seines eigenen Körpers ist (einschließlich der Stimmbänder) womit er dieses Einverständnis ausdrücken muss? Tatsächlich bräuchte man vorher Erlaubnis um überhaupt einem Anderen Erlaubnis zu geben, damit dieser wiederum einem Erlaubnis erteilt. Die Menschheit befände sich im Stillstand und da jede menschliche Ethik das Überleben erlauben muss, müssen wir diese Alternative ebenfalls ablehnen.
Diese Erkenntnis über die praxeologische[15] (praktische) Unmöglichkeit des „universellen Kommunismus“, wie Rothbard diesen Vorschlag nannte, bringt mich sofort auf eine weitere viel strengere Form, womit die Idee der originären Aneignung und das Privateigentum, als einzig korrekte Lösung für das Problem der gesellschaftlichen Ordnung, bewiesen werden kann:[16] Ob Personen Rechte haben oder nicht, und wenn ja welche, kann nur durch Argumentation (dem sprachlichen Austausch von Aussagen) entschieden werden. Rechtfertigung - Beweisführung, Ableitung, Widerlegung - ist argumentative Rechtfertigung. Jeder der diese Aussage ablehnt, begibt sich durch die eigene Handlung in einen Widerspruch, denn die Ablehnung selbst ist ein Argument. Selbst ein ethischer Relativist muss diese erste Aussage annehmen, entsprechend wird es auch das Apriori der Argumentation genannt.
Da das Apriori der Argumentation angenommen werden muss - axiomatisch ist - ergeben sich zwei gleichermaßen wichtige Folgerungen. Erstens lassen sich für durch Knappheit verursachte Konflikte, solche Fälle ableiten, zu denen es keine rationale Lösung gibt. Nehmen wir im vorherigen Beispiel von Crusoe und Freitag an, dass Freitag kein Mensch sondern ein Gorilla ist. Offensichtlich kann Crusoe ebenso in ein Konflikt mit Freitag als Mensch wie mit Freitag als Gorilla geraten. Es könnte sein, dass der Gorilla die gleiche Stelle besetzen möchte, die bereits von Crusoe eingenommen wurde. In diesem Fall, zumindest wenn wir von dem Gorilla das für seine Art übliche Verhalten annehmen, gibt es keine rationale Lösung zu dem Konflikt. Entweder der Gorilla wird Crusoe zur Seite schieben, zerquetschen, oder verspeisen - so würde der Gorilla das Problem lösen - oder Crusoe wird den Gorilla zähmen, verfolgen, schlagen oder töten - so würde Crusoe das Problem lösen. Man könnte in dieser Situation auch vom moralischen Relativismus sprechen. Eher angemessen wäre es jedoch diese Situation als solch eine zu bezeichnen, in der die Frage nach Gerechtigkeit und Vernunft gar nicht erst aufkommt; man könnte sagen, eine moralische Frage tritt gar nicht erst auf. Freitag als Gorilla ist für Crusoe kein moralisches sondern ein technisches Problem. Er hat keine andere Wahl, außer sich zu bemühen den Gorilla unter seiner Kontrolle zu bringen; ebenso wie andere leblose Objekte in seiner Umgebung ihm keinen anderen Umgang erlauben, außer sie unter seiner Kontrolle zu bringen.
Es folgt, dass man erst dann von einem moralischen Problem sprechen kann, wenn beide Parteien in einem Konflikt in der Lage sind mit einander zu argumentieren, und dementsprechend auch erst dann die Frage nach einer Lösung überhaupt von Bedeutung wird. Erst wenn Freitag, ungeachtet seiner physischen Erscheinung, in der Lage ist zu argumentieren (selbst wenn er diese Fähigkeit bloß ein mal gezeigt hat), kann er als rational erachtet werden. Erst dann kann die Frage nach einer korrekten Lösung für das Problem der gesellschaftlichen Ordnung überhaupt einen Sinn ergeben. Man kann nicht jemandem irgendeine Antwort geben, wenn derjenige noch nie eine Frage gestellt hat, oder genauer gesagt noch nicht mal seine relativistische Sichtweise in der Form eines Arguments ausgedrückt hat. In dem Fall, kann man dieses „andere“ nur als Tier oder Pflanze betrachten und behandeln, also als Wesen außerhalb moralischer Betrachtung. Nur wenn dieses Wesen seine Aktivität anhält, einen Schritt zurückgeht und „ja“ oder „nein“ auf etwas was man gesagt hat erwidert, sind wir dieser Entität einer Antwort schuldig. Entsprechend können wir auch erst dann von unserer Antwort behaupten, sie wäre die Korrekte für beide an einem Konflikt beteiligte Parteien.
Desweiteren folgt aus dem Apriori der Argumentation, dass wir alle Annahmen die bei der Argumentation als logische und praxeologische Voraussetzung der Argumentation gemacht werden, nicht umgekehrt durch ein Argument widerlegen können, ohne dabei durch die eigene Handlung in einen internen Widerspruch zu geraten.
Bei der Argumentation schweben Aussagen nicht einfach frei im Raum, sondern es handelt sich um eine bestimmte menschliche Aktivität. Voraussetzung für die Argumentation zwischen Crusoe und Freitag ist die gegenseitige Anerkennung, dass beide als einzige die Kontrolle über ihre jeweiligen Körper (ihr Gehirn, Stimmbänder, etc.) haben, sowie über die Flächen auf denen sie stehen. Niemand könnte ein Argument vortragen und von seinem Gegenüber erwarten dieses Argument als gültig anzusehen, es abzulehnen oder ein Gegenargument vorzutragen, ohne gleichzeitig vorauszusetzen, dass beide das Recht haben als einzige über ihre jeweiligen Körper und der Flächen auf denen sie stehen zu verfügen. Tatsächlich macht eben diese gegenseitige Anerkennung von Eigentum am eigenen Körper und der Standfläche das characteristicum specificum argumentativer Auseinandersetzungen aus: Man kann sich uneinig über die Gültigkeit einer Aussage sein, aber man kann sich trotzdem darüber einig sein, dass man verschiedener Meinung ist. Desweiteren, müssen beide Parteien das Recht am eigenen Körper und ihrer Standflächen a priori als gerechtfertigt anerkennen. Jeder der eine beliebige Aussage einem Gegenüber für gültig erklären will, setzt gleichzeitig die Verfügungsgewalt beider über ihren Körper und ihrer Standflächen voraus, damit er überhaupt die Aussage machen kann: „Ich behaupte dies oder jenes sei Wahr und ich fordere dich heraus das Gegenteil zu beweisen“.
Weiterhin wäre Argumentation gleichermaßen unmöglich, hätte man kein Eigentumsrecht (exklusive Verfügungsgewalt) an andere knappe Mittel (abgesehen von Körper und Standfläche). Wenn wir kein solches Recht hätten, würden wir alle sofort zugrundegehen und das Problem der Rechtfertigung von Regeln - ebenso wie jedes andere menschliche Problem - würde sich erübrigen. Dementsprechend muss alleine aufgrund der Existenz von Personen, das Recht auf Eigentum an andere Güter als gültig anerkannt werden. Keine lebende Person kann ohne Widerspruch etwas anderes behaupten.
Wenn eine Person nicht das Recht hätte Güter und Gebiete durch originäre Aneignung zu seinem Besitz zu machen, etwa in dem er zwischen sich selbst und dem Gut eine objektive (durch andere erkennbare) Verbindung als erster herstellt, und statt dessen ein Nachzügler Eigentum an dieses Gut hätte, wäre es niemandem jemals erlaubt ein Gut zu benutzen, ohne vorher von einem solchen Nachzügler die Erlaubnis zu haben. Wie kann aber ein Nachzügler jemals einem Vorgänger diese Erlaubnis erteilen? Der Nachzügler bräuchte außerdem das Einverständnis von allen die im Bezug auf ihm Nachzügler sind, etc. Unter solchen Bedingungen, könnten weder wir, unsere Vorfahren, noch unsere Nachkommen jemals überleben. Damit eine Person zu irgend einem Zeitpunkt etwas argumentieren kann, muss er jedoch überleben können; deswegen kann das Recht am Eigentum nicht als Zeitlos und und unabhängig von den betreffenden Personen erachtet werden. Eigentumsrechte müssen vielmehr zusammen mit Aktionen von bestimmten Personen an bestimmte Orte und Zeitpunkte entstehen. Sonst wäre es niemandem jemals möglich an irgendeinem Ort zu irgendeiner Zeit etwas zu tun oder zu sagen. Die Aussage die „erster-Nutzer-erster-Eigentümer“-Regel in der Ethik vom Privateigentum sei nicht gerechtfertigt, impliziert alleine schon durch seine Aussprache einen Widerspruch. Denn die Möglichkeit diese Aussage überhaupt machen zu können, bedingt die eigene Existenz als unabhängiges, entscheidungfähiges Wesen, zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort.[17]
[13] Siehe Kapitel 5.
[14] Siehe Murray N. Rothbard, Man, Economy, and State (Auburn, Al.: Mises Institute, 1993 [1962]); idem, Power and Market (Kansas City: Sheed Andrews & McMeel, 1977 [1970]); idem, The Ethics of Liberty (New York: New York University Press, 1998 [1982]); idem, Egalitarianism as a Revolt against Nature and other Essays (Auburn, Al.: Mises Institute, 2000 [1974]); idem, The Logic of Action, 2 vols. (Cheltenham, UK: Edward Elgar, 1997).
[15] Zum Begriff der Praxeologie und der systematischen Rekonstruktion der Wirtschaftstheorie als einer aprioristischen „Logik des Handelns“ vgl. Ludwig von Mises, Nationalökonomie: Theorie des Handels und Wirtschaftens (Genf: Editions Union, 1940); Neuauflage im Philosophia Verlag, München.
[16] Siehe auch Hans-Hermann Hoppe, A Theory of Socialism and Capitalism (Boston: Kluwer Academic Publishers, 1989); idem, The Economics and Ethics of Private Property (Boston: Kluwer Academic Publishers, 1993).
[17] Merke den „naturrechtlichen“ Charakter der vorgeschlagenen Lösung zum Problem der gesellschaftlichen Ordnung - Privateigentum und das erlangen von Eigentum durch originäre Aneignung ist nicht bloß eine Konvention, sondern ein notwendiges Recht, dass sich aus der Natur des Menschen als rationales Wesen ergibt. Eine Konvention dient einem bestimmten Zweck und es existieren zu ihm Alternativen. Das lateinische Alphabet dient beispielsweise dem Zweck der schriftlichen Kommunikation. Man könnte alternativ auch das kyrillische Alphabet benutzen. Dementsprechend nennen wir es eine Konvention. Der Sinn von Normen ist die Vermeidung von Konflikte im Bezug auf die Nutzung knapper physischer Mittel. Normen die Konflikte verursachen stehen diesem Sinn entgegen. Im Bezug auf die Vermeidung von Konflikte, existiert allerdings keine Alternative zum Privateigentum und der originären Aneignung. Wenn wir nicht von zuvor etablierter Harmonie zwischen Akteuren ausgehen, können Konflikte nur vermieden werden, wenn all Güter das Privateigentum bestimmter Individuen ist und es klar ist wem was gehört und wem nicht. Zusätzlich können wir Konflikte vom beginn der Menschheit an nur vermeiden, wenn Privateigentum durch originäre Aneignung zustandekommt (und nicht etwa indem ein Nachzügler sie einfach durch eine Aussage für sich beansprucht).