Zur Zeit als Rothbard dabei war das Konzept des Privateigentums in der Ökonomie wiederherzustellen und die Ökonomie wieder in die Ethik zu integrieren, fingen andere Ökonomen und Rechtswissenschaftler der Universität von Chicago wie Ronald Coase, Harold Demsetz und Richard Posner ebenfalls an wieder professionelle Aufmerksamkeit auf das Thema Eigentum und Eigentumsrecht zu richten.[23]
Während Rothbard jedoch Privateigentum und Ethik als Grundlage der Ökonomie sah, war das Privateigentum und die Ethik für die Chicago Gelehrten, der Ökonomie und ökonomischen Abwägungen untergeordnet. Nach Posner war alles gerecht, was den gesellschaftlichen Wohlstand fördert.[24]
Der Unterschied zwischen den beiden Ansätzen kann man anhand eines der von Coase gegebenen Problemfälle zeigen: Eine Eisenbahn verläuft neben ein Acker. Die Lokomotive sprüht Funken und beschädigt das Getreide des Bauern. Was soll geschehen?
Aus der klassischen Sicht, müssen wir feststellen ob der Bauer oder die Eisenbahn zuerst da war. Wenn der Bauer zuerst da war, kann er die Eisenbahn zwingen die Beschädigung zu unterlassen oder einen Ausgleich verlangen. Wenn die Eisenbahn zuerst da war, kann sie weiterhin Funken sprühen und der Bauer müsste die Eisenbahn bezahlen damit sie ohne Funken fährt.
Aus der Sicht von Coase ist die Antwort zweierlei. Als erstes stellt Coase die „positive“ Behauptung auf, dass es keine Rolle spielt wie Eigentumsrechte und Haftpflicht zugeordnet werden, wesentlich ist, dass sie zugeordnet werden, vorausgesetzt die Transaktionskosten sind null (unrealistisch).
Coase behauptet es wäre falsch den Bauern oder die Eisenbahn als im „Recht“ oder „Unrecht“ (haftbar) oder als „Täter“ und „Opfer“ zu betrachten. „Die Frage wird häufig als eine erachtet, in der A einen Schaden bei B verursacht und entschieden werden muss, wie wir A daran hindern sollen. Das ist jedoch falsch. Es handelt sich um ein Frage gegenseitiger Schäden. Würde man den Schaden an B verhindern, wäre das ein Schaden an A. Die wirkliche Frage sollte sein: Sollte es A erlaubt sein B zu schaden oder umgekehrt? Das Problem ist es, den größeren Schaden zu vermeiden“.[25]
Angesichts der „gleichen“ moralischen Stellung von A und B, macht es für die Zuordnung von wirtschaftlichen Gütern angeblich zunächst keinen Unterschied, wem die Eigentumsrechte zugewiesen werden. Stellen wir uns vor der Ernteschaden für den Bauern, A, beträgt $1000 und die Kosten eines Geräts zur Verhinderung von Funken (GVF) beträgt für B $750. Wenn B für den Ernteschaden haftbar gemacht wird, muss B ein GVF installieren oder seinen Betrieb einstellen. Wenn B nicht für den Schaden haftbar gemacht wird, muss A einen Betrag zwischen $750 und $1000 bezahlen, damit B ein GVF installiert. In beiden Fällen wird ein GVF installiert. Nehmen wir nun an die Zahlen wären umgekehrt: Der Ernteschaden beträgt $750 und das GVF kostet $1000. Wenn B haftbar gemacht wird, wird er $750 an A bezahlen jedoch kein GVF installieren. Wenn B nicht haftbar gemacht wird, kann A nicht genug an B bezahlen um ein GVF zu installieren. Wieder enden beide Fälle mit dem gleichen Ergebnis. Es wird kein GVF installiert. Es spielt nach Coase, Demsetz und Posner deswegen keine Rolle wie die Eigentumsrechte am Anfang zugewiesen sind, denn die resultierende Zuteilung von Wirtschaftsgütern bleibt unbetroffen.
Die Zweite und diesmal „normative“ Behauptung - und im einzig realistischen Fall von positiven Transaktionskosten - von Coase, Demsetz und Posner ist, dass Gerichte den streitenden Parteien Eigentumsrechte derart zuweisen sollten, dass „Wohlstand“ oder der „Wert der Produktion“ maximiert wird. Im eben geschilderten Fall wäre die Eisenbahn gegenüber dem Bauer haftbar, sofern die Kosten für das GVF höher sind als sein Ernteverlust. Im gegenteiligen Fall, sollte das Gericht so entscheiden, dass der Bauer an die Eisenbahn einen Schadensersatz zahlt. Posner bietet ein weiteres Beispiel an. Eine Fabrik verursacht Rauch und verringert dadurch den Eigentumswert der umliegenden Grundstücke. Wenn die Grundstücke um $ 3 Million an Wert verlieren und die Kosten eines Standortwechsels für die Fabrik $ 2 Million betragen, sollte die Fabrik haftbar gemacht werden und gezwungen werden umzuziehen. Wenn die Zahlen jedoch umgekehrt sind - die Grundstückswerte verlieren $ 2 Million und die Kosten des Standortwechsels sind $ 3 Million - darf die Fabrik bleiben und weiterhin Rauch abgeben.
Sowohl die positive als auch die normative Behauptung der Rechtsgelehrten und Ökonomen aus Chicago müssen abgewiesen werden.[26] Im Bezug auf die Behauptung es würde keine Rolle spielen, wem die Eigentumsrechte zugewiesen werden, folgen drei Antworten. Erstens, wie Coase unweigerlich zugibt, macht es für den Bauern und der Eisenbahn sehr wohl einen Unterschied, wem die Eigentumsrechte zugewiesen werden. Es macht nicht nur ein Unterschied, wie Ressourcen verteilt werden, sondern auch wem sie gehören.
Zweitens, und viel wichtiger, es macht für die gesellschaftliche Produktion einen fundamentalen Unterschied, wie Eigentumsrechte zugewiesen werden. Die Ressourcen die einer produktiven Unternehmung zugewiesen werden, sind nicht einfach gegeben. Sie selbst sind das Ergebnis früherer Handlungen produktiver Natur oder einer originären Aneignung. Diese Handlungen hängen davon ab ob sie sich für die Produzierenden und Aneignenden lohnen. Wenn Produzierende und Aneignende die absoluten Eigentümer über ihre Güter sind, d.h. wenn sie nicht wegen Handlungen eines Nachzüglers Haftbar gemacht werden können, wird der Wohlstand maximiert. Wenn andererseits die Produzierenden und Aneignenden gegenüber Nachzügler haftbar gemacht werden können, was Coase mit der Lehre vom „gegenseitigen Schaden“ impliziert, so wird der produzierte Wert geringer sein als es sonst der Fall wäre. Die Lehre, dass „es keinen Unterschied macht“ ist also kontraproduktiv im Bezug auf das erklärte Ziel der Maximierung des Wohlstands.
Drittens, die Behauptung von Coase, dass der Einsatz von Ressourcen durch die erste Zuweisung von Eigentumsrechte nicht beeinflusst wird ist im allgemeinen nicht richtig. Tatsächlich, ist es sehr einfach ein Gegenbeispiel aufzustellen. Nehmen wir an der Bauer verliert wegen den Funken der Eisenbahn nicht $ 1000 an seiner Ernte, sondern ein Blumenbeet, dass ihm $ 1000 wert ist, für jeden anderen aber wertlos ist. Wenn das Gericht die Eisenbahn haftbar macht, wird das $ 750 teure GVF installiert. Wenn das Gericht die Eisenbahn nicht haftbar macht, wird das GVF nicht installiert, schlicht und einfach weil der Bauer nicht das nötige Geld aufbringen kann, um die Eisenbahn zu überreden ein GVF zu installieren. Die Verteilung der Ressourcen ist unterschiedlich je nachdem wie Eigentumsrechte eingangs bestimmt wurden.
Ähnlich und entgegen der normativen Behauptung der Chicago Rechts- und Wirtschaftslehre, dass Gerichte die Rechte am Eigentum zur Maximierung des gesellschaftlichen Wohlstands zuweisen sollten, folgen drei Antworten. Erstens ist kein zwischenmenschlicher Vergleich vom Nutzen möglich. Dennoch müssen Gerichte wohl oder übel solche beliebigen Vergleiche machen, jedes mal wenn sie eine Kosten-Nutzen-Analyse machen. Solche Kosten-Nutzen-Vergleiche sind so willkürlich wie die Annahmen auf denen sie beruhen. Sie nehmen z.B. an, dass psychische Kosten vernachlässigt werden können und dass der Grenznutzen des Geldes konstant und für alle gleich ist.
Zweitens, verdeutlichen die numerischen Beispiele oben, dass sich die vom Gericht zugewiesenen Eigentumsrechte ändern, je nachdem wie die Marktlage gerade ist. Wenn ein GVF weniger kostet als der Ernteschaden, bekommt die Eisenbahn Recht. Unterschiedliche Umstände führen also zu einer Umverteilung von Eigentumsrechten. Keiner kann sich je seines Eigentums sicher sein.[27] Es entsteht eine permanent unsichere Rechtslage. Das scheint weder gerecht noch wirtschaftlich; desweiteren würde wohl keiner mit rechtem Verstand, sich an ein Gericht wenden, dass bekanntgibt es wird Eigentumsrechte mit der Zeit neu zuweisen, abhängig von der derzeitigen Marktlage.
Zuletzt, muss eine Ethik bei sich ändernde Umstände gleich und stabil bleiben; eine Ethik muss einem erlauben Entscheidungen über „Recht oder Unrecht“ zu treffen bevor man handelt, und das wofür man haftbar gemacht werden könnte, muss unter der eigenen Kontrolle stehen. Das gilt für die klassische Ethik des Privateigentums mit dem erster-Nutzer-erster-Eigentümer Prinzip. Dieser Ethik zufolge, sind gerechte Handlungen solche die umgesetzt werden mit rechtmäßigen Mitteln - Mittel aus originärer Aneignung, Produktion oder vertraglichem Handel mit dem vorherigen Eigentümer - ohne dabei einen physischen Schaden am Eigentum anderer zu verursachen. Jede Person kann eingangs bestimmen ob diese Bedingung erfüllt ist oder nicht, und es steht unter seinem Einfluss ob seine Handlungen das Eigentum anderer beschädigt. In beider Hinsicht ist es bei der Ethik der Maximierung des Wohlstands ganz anders. Niemand kann vorher sagen, ob die eigenen Handlungen zu einem großeren gesellschaftlichen Wohlstand führen oder nicht. Wenn es überhaupt bestimmt werden kann, dann erst im Nachhinein. Es steht auch nicht unter der eigenen Kontrolle, ob die eigenen Handlungen zur Maximierung des gesellschaftlichen Wohlstands führt. Ob das der Fall ist hängt von den Handlungen und Einschätzungen anderer Personen ab. Wieder müssen wir Fragen, welche Person mit rechtem Verstand, würde sich dem Urteil eines Gerichts aussetzen, dass ihm nicht vorher wissen lässt wie man sich rechtmäßig verhalten kann und wie man es vermeiden kann widerrechtlich zu handeln. Wer kann sich für ein „Recht“ aussprechen, dass solche Entscheidungen erst im Nachhinein und mit vollendeten Tatsachen trifft?
[23] Siehe Ronald Coase, The Firm, The Market, and the Law (Chicago, University of Chicago Press, 1988); Harold Demsetz, Ownership, Control, and the Firm (Oxford: Basil Blackwell, 1988); Richard Posner, The Economics of Justice (Cambridge: Harvard University Press, 1981).
[24] Posner, The Economics of Justice, S. 74: „ungerecht (ist definiert) als das was den Wohlstand einer Gesellschaft verringert.“
[25] Ronald Coase, „The Problem of Social Cost,“ in: idem, The Firm, the Market, and the Law, S. 96. Die moralische Perversion dieser Behauptung kann man am besten erkennen wenn wir uns den Fall einer Vergewaltigung von B durch A vorstellen. Nach Coase, sollte A nicht aufgehalten werden.. Vielmehr „handelt es sich um eine Frage gegenseitiger Schäden“. Wenn wir A daran hindern B zu vergewaltigen, verursachen wir bei A einen Schaden, da er nicht länger nach belieben vergewaltigen kann. Die wirkliche Frage ist: Sollte es A erlaubt sein B zu vergewaltigen, oder sollte es B erlaubt sein A daran zu hindern sie/ihn zu vergewaltigen? „Das Problem ist es, den größeren Schaden zu vermeiden“.
[26] Siehe auch Walter Block, „Coase and Demsetz on Private Property Rights,“ Journal of Libertarian Studies, Vol.1, no. 2, 1977; idem, „Ethics, Efficiency, Coasian Property Rights, and Psychic Income: A Reply to Harold Demsetz,“ Review of Austrian Economics, Vol. 8, no. 2, 1995; idem, „Private Property Rights, Erroneous Interpretations, Morality and Economics,“ Quarterly Journal of Austrian Economics, Vol. 3, no. 1, 2000; Gary North, The Coase Theorem: A Study in Epistemology (Tyler, Texas: Institute for Christian Economics, 1992); idem, „Undermining Property Rights: Coase and Becker,“ Journal of Libertarian Studies, Vol. 16, no. 4 (forthcoming).
[27] Posner, The Economics of Justice, S. 70–71, gibt dies mit ergreifender Offenheit zu: „Absolute Rechte spielen eine wichtige Rolle in der ökonomischen Rechtstheorie. … Wenn Transaktionskosten zu groß werden, ist die Anerkennung von absoluten Rechten nicht effizient. … Eigentumsrechte, wenn auch absolut, (sind) abhängig von Transaktionskosten und dienen dem Ziel der Maximierung des Wohlstands bzw. sind ihm untergeordnet“.