Die utilitaristische Verteidigung

Die Rechtfertigung vieler Befürworter für geistiges Eigentum beruht auf einer utilitaristischen Grundlage. Utilitaristen behaupten das „Ziel“ der Anregung von Innovation und Kreativität heiligt die scheinbar unmoralischen „Mittel“ die Freiheit einzuschränken, also mit dem eigenen physischen Eigentum nach eigenem ermessen umzugehen. Es gibt allerdings drei grundsätzliche Probleme mit der Rechtfertigung von Recht oder Gesetz auf streng utilitaristischer Ebene.

Lasst uns zunächst annehmen, dass der Wohlstand oder Nutzwert in einer Gesellschaft durch ein bestimmtes gesetzliches Regelwerk maximiert werden könne; der „Kuchen“ also vergrößert werden kann. Selbst das zeigt noch nicht, dass diese Regeln gerechtfertigt sind. Man könnte beispielsweise argumentieren es würde der Nutzwert insgesamt erhöht, wenn man die Hälfte vom Wohlstand von ein Prozent der Reichsten auf die ärmsten zehn Prozent umverteilt. Aber selbst wenn der Diebstahl von einem kleinen Teil des Eigentums von A und die Übergabe an B den Wohlstand von Bmehr“ erhöht als es den von A verringert (sofern ein solcher Vergleich überhaupt möglich ist) heißt das noch nicht, dass der Diebstahl des Eigentums von A gerechtfertigt ist. Der Sinn von Gesetze ist nicht die Maximierung des Wohlstands sondern Gerechtigkeit walten zu lassen.[67] Selbst wenn der Wohlstand durch g.E. insgesamt erhöht wird, ist das keine Rechtfertigung für die unethische Verletzung der Eigentumsrechte eines einzelnen, der als einziger und nach eigenem Ermessen über sein Eigentum verfügen darf.

Zu den ethischen Problemen kommt hinzu, dass der Utilitarismus nicht schlüssig ist. Es hat die illegitime Voraussetzung, zwischen Personen einen Vergleich ihrer Nutzwerte machen zu können. Es werden Rechnungen gemacht, bei dem die „Kosten“ des g.E. von seinem „Nutzen“ abgezogen werden, um zu bestimmen ob solche Gesetze insgesamt etwas bringen.[68] Nicht jeder Wert hat jedoch einen Marktpreis; tatsächlich existieren für Werte gar keine Preise. Mises hat gezeigt, dass selbst bei Gütern die auf dem Markt einen Preis haben, der Preis nicht als Maß für dessen Wert dient.[69]

Zuletzt, selbst wenn wir die Probleme mit dem zwischenmenschlichen Vergleich vom Nutzwert und die Frage der Rechtmäßigkeit bei der Umverteilung außen vor lassen, selbst wenn wir unbeirrt weiterfahren und die üblichen utilitaristischen Messungen benutzen ist es ganz und gar nicht klar, dass Gesetze zum geistigen Eigentum zu irgendeiner Änderung im allgemeinen Wohlstand führen–sei es eine Erhöhung oder Verringerung.[70] Es ist fraglich ob das Urheberrecht oder Patente wirklich nötig sind für die Produktion kreativer Werke und Erfindungen, oder dass die stetigen Gewinne durch Innovation die immensen Kosten eines Systems für g.E. übersteigen. Ökonometrische Untersuchungen zeigen keine schlüssige Erhöhung des Wohlstands. Möglicherweise gäbe es sogar mehr Innovationen wenn es kein Patentrecht gäbe; vielleicht gäbe es mehr Geld für Forschung und Entwicklung wenn man es nicht für die Anmeldung von Patente und für Gerichtsverfahren ausgeben müsste. Es ist möglich, dass Unternehmen einen noch größeren Anreiz hätten Innovationen zu produzieren wenn sie sich nicht auf ein fast zwanzig jähriges Monopol ausruhen könnten.[71]

Ein Patentsystem ist zweifelsohne mit Kosten verbunden. Wie bereits angemerkt, können Patente nur für die „praktische“ Anwendung einer Idee gewährt werden, nicht jedoch für abstrakte oder theoretische Ideen. Das verschiebt den Einsatz von Ressourcen weg von theoretischer Forschung und Entwicklung.[72] Es ist nicht klar, dass es unserer Gesellschaft besser geht wenn vergleichsweise mehr praktische und vergleichsweise weniger theoretische Forschung und Entwicklung betrieben wird. Desweiteren werden viele Erfindungen nur zum Schutz patentiert, was die Gehälter von Patentanwälten und die Gebühren vom Patentamt begründet. Diese wesentlichen Unkosten wären nicht nötig wenn es keine Patente gäbe. Ohne Patentgesetze müssten Firmen z.B. kein Geld zum Schutz vor solch unsinnige Patente ausgeben wie sie im Anhang aufgelistet sind. Es ist ganz einfach nicht gezeigt worden, dass g.E. zu größerem Wohlstand führt. Müsste die Beweislast aber nicht eigentlich bei denen liegen, die sich dafür aussprechen Gewalttätig über das Eigentum anderer zu verfügen?

Wir sollten uns darüber im Klaren sein wenn wir uns für bestimmte Rechte und Gesetze aussprechen oder ihre Legitimität hinterfragen, dass es sich um eine ethische Frage handelt, nämlich nach dem legitimen Einsatz von Gewalt. Die Frage ob ein Gesetz in Kraft treten oder existieren soll ist die Frage: Ist es angemessen Gewalt gegen bestimmte Personen unter bestimmten Umständen einzusetzen? Es ist nicht weiter verwunderlich, dass diese Frage bei der Analyse der Maximierung des Wohlstands nicht wirklich angesprochen wird. Die utilitaristische Analyse ist gänzlich verwirrt und bankrott: Von einer Vergrößerung des Kuchens zu sprechen ist methodisch Defekt; es gibt keinen klaren Beweis, dass sich der Kuchen durch Rechte am g.E. vergrößert. Weiterhin, wäre eine Vergrößerung des Kuchens keine Rechtfertigung für den Einsatz von Gewalt gegen das ansonsten legitime Eigentum anderer. Aus diesen Gründen ist die utilitaristische Verteidigung vom g.E. nicht überzeugend.



[67] Nach Justinian ist „Gerechtigkeit der andauernde und ewige Wunsch, die Rechte aller anzuerkennen und zu respektieren…. Die Grundsätze vom Gesetz sind folgende: Ehrlich zu leben, Niemanden zu verletzen, die Rechte aller zu respektieren“. The Institutes of Justinian: Text, Translation, and Commentary, trans. J.A.C. Thomas (Amsterdam: North-Holland, 1975).

[68] Zu den Mängel vom Utilitarismus und der zwischenmenschlichen Vergleiche vom Nutzwert siehe Murray N. Rothbard, „Praxeology, Value Judgments, and Public Policy,“ in The Logic of Action One (Cheltenham, U.K.: Edward Elgar, 1997), insb. S. 90–99; Rothbard, „Toward a Reconstruction of Utility and Welfare Economics,“ in The Logic of Action One; Anthony de Jasay, Against Politics: On Government, Anarchy, and Order (London: Routledge, 1997), S. 81–82, 92, 98, 144, 149–51.

Zum Scientismus und Empirismus siehe Rothbard, „The Mantle of Science,“ in The Logic of Action One; Hans-Hermann Hoppe, „In Defense of Extreme Rationalism: Thoughts on Donald McCloskey's The Rhetoric of Economics“, Review of Austrian Economics 3 (1989): 179.

Zum erkenntnistheoretischen Dualismus siehe Ludwig von Mises: The Ultimate Foundation of Economic Science: An Essay on Method, 2nd ed. (Kansas City: Sheed Andrews and McMeel, 1962); Ludwig von Mises: Epistemological Problems of Economics, trans. George Reisman (New York: New York University Press, 1981); Hans-Hermann Hoppe: Economic Science and the Austrian Method (Auburn, Ala.: Ludwig von Mises Institute, 1995); und Hoppe: „In Defense of Extreme Rationalism.

[69] Mises stellt fest: „Obwohl man gemeinhin von Geld als Maß für den Wert oder Preis spricht, ist diese Vorstellung zutiefst Fehlerbehaftet. Solange die subjektive Werttheorie angenommen wird, kann sich diese Frage nicht stellen.“ „On the Measurement of Value,“ in The Theory of Money and Credit, trans. H.E. Batson (1912; reprint, Indianapolis, Ind.: Liberty Fund, 1980), S. 51. Desweiteren: „Geld ist weder ein Zollstock für den Wert oder den Preis. Geld misst weder einen Wert noch werden Preise in Geld gemessen: Sie sind Mengen von Geld.“ Ludwig von Mises, Socialism: An Economic and Sociological Analysis, 3rd rev. ed., trans. J. Kahane (Indianapolis, Ind.: Liberty Press, 1981), S. 99; siehe auch Mises: Human Action, S. 96, 122, 204, 210, 217, und 289.

[70] Eine hervorragende Übersicht und Kritik an der Kosten-Nutzen Rechtfertigung für das Patent- und Urheberrecht gibt Cole in „Patents and Copyrights: Do the Benefits Exceed the Costs?“. Für nützliche Diskussionen der Beweislage hierzu, siehe Palmer „Intellectual Property: A Non-Posnerian Law and Economics Approach,“ S. 300–2; Palmer, „Are Patents and Copyrights Morally Justified?“ S. 820–21, 850–51; Bouckaert: „What is Property?“ S. 812–13; Leonard Prusak: „Does the Patent System Have Measurable Economic Value?AIPLA Quarterly Journal 10 (1982): S. 50–59; und Leonard Prusak: „The Economic Theory Concerning Patents and Inventions,Economica 1 (1934): 30–51.

[71] Siehe Cole: „Patents and Copyrights: Do the Benefits Exceed the Costs?“ für weitere Beispiele der kosten der Gesetzgebung zum Patent- und Urheberrecht.

[72] Plant: „The Economic Theory Concerning Patents for Inventions,“ S. 43.

Siehe auch Rothbard: Man, Economy, and State, S. 658–59:

Es ist keineswegs offensichtlich, dass Patente die absolute Menge an Ausgaben für Forschung erhöhen. Sicher ist jedoch, dass Patente für eine Verzerrung der Art von Ausgaben für Forschung sorgen. . . . Ausgaben für Forschung werden in den Anfangsphasen entsprechend übermäßig gefördert da noch keiner ein Patent bekommen hat, und sie werden in den Phasen nachdem ein Patent gewährt wurde übermäßig eingeschränkt. Darüber hinaus, werden nur auf bestimmte Erfindungen Patente gewährt und auf andere nicht. Das Patentsystem hat demnach die weitere Folge, dass die Ausgaben für patentierbare Bereiche übermäßig gefördert werden, während die Forschung in nicht patentierbare Bereiche künstlich eingeschränkt wird.